Freitag, 27. April 2007

Andere Ansichten (Patrick Sueskind)

Kaum ein anderer Autor hat sich so witzig (und durchaus kontrovers) mit dem Thema Liebe befasst wie Patrick Sueskind. In seinem Essay "Ueber Liebe und Tod" versucht er eine Bruecke zwischen den beiden scheinbar entgegengesetzten Teilen des Lebens zu schlagen.

Zum Thema Liebe hat er unter anderem folgendes zu sagen:

"Ein Blick auf den Blick eines die Geliebte anblickende Liebenden genuegt, um festzustellen: Dieser Blick ist leer; er ist, wie man zu Recht sagt, hingegeben. Alles, was einmal an Witz, an Intelligenz, an Wachheit, an Neugier und Vorsicht in ihm war, ist verschwunden. Geblieben ist - wie beim Blick des Verklaerten, der die Gottheit zu schauen glaubt - der Ausdruck reinster Torheit. Dieses Phaenomen der Verbloedung durch Liebe beschraenkt sich uebrigens keineswegs auf die sexuelle gefaerbte Spielart. Wir finden es ebenso haeufig bei der huendischen Liebe von Eltern zu ihren missratenen Kindern, bei der spirituellen Liebe der Nonnen zu ihrem himmlischen Gemahl - von der kultischen Liebe des Untertanen zum Vaterland oder zum geliebten Fuehrer ganz zu schweigen. Immer wird die Liebe bezahlt mit dem Verlust von Vernunft, mit Selbstaufgabe und daraus resultierender Unmuendigkeit. Das Ergebnis ist in harmlosen Faellen die Laecherlichkeit, im schlimmsten Fall die weltpolitische Katastrophe."

Dienstag, 10. April 2007

Kommentar

War Erich Fromm nun ein "Heiliger", hat er die einzige wahre Form der Liebe beschrieben? Sollte man also "Die Kunst des Liebens" auswendig lernen und danach leben? Natuerlich nicht!

Auch wenn einige Kritiker dieses Buch als "ebenso wichtig wie die Liebe selbst" bezeichnen, so stellt der Inhalt trotzdem nicht die vollstaendig objektive Wahrheit dar. Was Fromm in diesem Buch letztendlich beschreibt ist eine extrem idealisierte Form einer emotionsreduzierten Zwischenmenschlichen Beziehung. Eigentlich geht es ihm um die Probleme in der modernen westlichen Gesellschaft und wie sich diese auf die Naechstenliebe auswirken. Und genau diese Art der Liebe liegt ihm sehr am Herzen, so stellt sie - seiner Meinung nach - den einzigen Rettungsanker vor den Folgen des Kapitalismus dar. Ich moechte Fromm in seiner Gesellschaftskritik auch gar nicht wiedersprechen und kann ihm bei vielen Punkten nur zustimmen.

Auch ist es richtig, dass man zunaechst einmal sich selbst kennen und lieben lernen muss, bevor man einer anderen Person all seine Liebe geben kann. Ausserdem geht es natuerlich nicht, dass man die ganze Welt hasst, aber "die eine Person" liebt. Die romantische Liebe ist jedoch etwas anderes als die Naechstenliebe. Waere das nicht so, dann wuerde es keinen Unterschied zwischen einer Freundschaft und einer Beziehung geben. Tatsaechlich waeren Freunde immer eine bessere Wahl, denn haeufig kennt man diese Personen schon sehr lange und detailliert. Man verhaelt sich Freunden gegenueber auch mit Fuersorge und man hat Verantwortungsgefuehl. All die Eigenschaften, welche Fromm als Basis fuer die "richtige" Form der Liebe darstellt werden erfuellt. Natuerlich wird niemand wiedersprechen, dass es aber doch noch einen Unterschied zu einer Partnerschaft gibt. (Ein Freundschaft scheint aber eine gute Basis zu sein, denn haeufig entwickeln sich Beziehungen aus Freundschaften.)

Meiner persoenlich Meinung nach spielen Gefuehle eine sehr viel wichtigere Rolle als Fromm das in seinem Buch "Die Kunst des Liebens" darstellt. Eine Partnerschaft kann auf einem solch emotionsreduzierten Niveau nicht funktionieren. Natuerlich haelt die urspruengliche Verliebtheit nicht an (das verhindert schon die Biologie - siehe den Definitions-Eintrag) und eine Beziehung entwickelt sich weiter, aber die romantische Liebe stellt auch dann noch mehr dar als die Naechstenliebe.

Auch bei Erich Fromm's Buch "Die Kunst des Liebens" gilt - wie ueberall sonst im Leben - die Regel, dass man sich natuerlich selbst gedanklich mit dem Stoff auseinandersetzen und eine eigene Interpretation entwickeln sollte. Gerade im Kontext der Liebe gibt es keine allgemeingueltige objektive Wahrheit, die sich so einfach in ein Lehrbuch schreiben laesst. An dieser Stelle muss ich Erich Fromm allerdings wieder Recht geben, denn die Liebe kann sich nur in einem selbst entwickeln.

Samstag, 7. April 2007

Die Praxis der Liebe

Fromm beendet sein Buch "Die Kunst des Liebens" mit einer Betrachtung von praktischen Aspekten im Kontext seiner theoretischen Betrachtungen. Er stellt jedoch sofort klar, dass ueber die Praxis der Liebe nur wenig gesagt werden kann.
Tatsaechlich beschreibt er viele allgemeine Regeln zum erlernen einer beliebigen Kunst. Erich Fromm betont, dass man vor allem Disziplin, Konzentration und Geduld zeigen sollte. Mit anderen Worten wer Liebe geben und erfahren moechte, muss sich vor allem seinen Fokus darauf legen. Wer sich also zum Beispiel durch Alkohol, Rauchen oder andere Taetigkeiten staendig ablenkt, kann nichts ueber sich und andere lernen. Ausserdem sollte man sich der Wichtigkeit der Liebe bewusst sein. Viele Menschen sagen zwar, dass dies fuer sie das wichtigste im Leben ist handeln dann aber nicht dementsprechend.
Laut Fromm sollte man sich taeglich Zeit nehmen, um ruhig und ohne Ablenkung ueber sich und die aktuelle Situation zu reflektieren. Damit beschreibt er die Meditation. Tatsaechlich hat Erich Fromm in den 50'er Jahren bei dem japanischen Meister Daisetz Teitaro Suzuki die Kunst der Meditation erlernt. Bei der buddhistischen und Zen Meditation geht es ja vor allem darum sich selbst und die Welt zu erkennen, indem man seine Konzentration gezielt steuert. Ausserdem ist es wichtig, dass das eigene Bewusstsein auf die Gegenwart und nicht auf die Vergangenheit oder Zukunft gerichtet wird. Man merkt - meiner Meinung nach - sehr leicht das Fromm der Meditation verschrieben ist, wenn man "Die Kunst des Liebens" liest.
Ein weiteren praktischen Aspekt den Fromm nennt ist die erhoehte Objektivitaet. Nur wer die Dinge so sieht wie sie wirklich sind kann sie auch verstehen. Das gilt natuerlich ganz besonders bei der Liebe. Doch gerade dabei ist es sehr leicht sich der eigenen Gedankenwelt, seinen Aengsten, Wuenschen und Plaenen hinzugeben. Haeufig wird die eigentliche Situation vollkommen uebersehen und durch eine verzerrte Projektion ersetzt. (Auch dieser Aspekt ist in der Meditation sehr wichtig!)
Fromm betont weiterhin, dass der eigene Narzissmus ueberwunden werden muss, um die Kunst des Liebens zu erlernen. Nur dann kann man naemlich an seine eigene Kraft und an die eigene Liebe glauben. Das ist wiederum - so Fromm - die Grundvoraussetzung um ueberhaupt lieben zu koennen, denn Liebe kommt zunaechst einmal von einem Selbst.

"Wem also die Liebe als einzige vernuenftige Loesung des Problems der menschlichen Existenz am Herzen liegt, der muss zu dem Schluss kommen, dass in unserer Gesellscahftsstruktur wichtige und radikale Veraenderungen vorgenommen werden muessen, wenn Liebe zu einem gesellschaftlichen Phaenomen werden und nicht eine hoechst individuelle Randerscheinung bleiben soll."

Montag, 2. April 2007

Die Liebe und ihr Verfall in der heutigen westlichen Gesellschaft

Nachdem Fromm die (Theorie der) Liebe von unterschiedlichen Standpunkten aus betrachtet hat, geht er auch auf deren Rollen in unserer modernen westliche Welt ein: "Wenn wir jetzt von der Liebe in der westlichen Kultur sprechen, wollen wir uns daher zunaechst fragen, ob die Gesellschaftsstruktur der westlichen Zivilisation und der aus ihr resultierende Geist der Entwicklung von Liebe foerderlich ist. Wir muessen diese Frage verneinen." Und Fromm geht noch weiter mit dieser Aussage, wenn er schreibt: "Unvereinbar miteinander sind das der kapitalistischen Gesellschaftsordnung zugrundeliegende Prinzip und das Prinzip der Liebe."
Zu dieser Meinung kommt er schliesslich durch einen Vergleich der Liebe mit der Fairness. Letzteres ist die Basis der kapitalistischen Welt, denn letztendlich geht es nur um ein faires Tauschgeschaeft. Ob nun Geld gegen Ware oder Arbeitskraft gegen Geld getauscht wird ist egal. Der Mensch wird - so Fromm - zu einem unwichtigen und austauschbaren Element im Getriebe der Wirtschaft: "Der moderne Kapitalismus braucht Menschen, die in grosser Zahl reibungslos funktionieren, die immer mehr konsumieren wollen, deren Geschmack standardisiert ist und leicht vorausgesehen und beeinflusst werden kann. Er braucht Menschen, die sich frei und unabhaengig vorkommen und meinen, fuer sie gebe es keine Autoritaet, keine Prinzipien und kein Gewissen - und trotzdem bereit sind, sich kommandieren zu lassen, zu tun, was man von ihnen erwartet, und sich reibungslos in die Gesellschaftsmaschinerie einzufuegen."
Diese Lebensweise hat natuerlich auch eine Auswirkung auf die Liebe, denn - nach Fromms Ansicht - ist echte Liebe in der modernen Welt allerhoechstens eine Randerscheinung. Die Regel stellen Arten der Pseudoliebe dar. So ersetzt zum Beispiel die Idee des Teams die Leibe. Es kommt dabei nicht selten vor, dass Menschen in einer Partnerschaft zwar als Team leben, sich aber nicht lieben. Man macht sich gegenseitig das Leben ein bisschen leichter und eventuell wird auch die Angst vorm Alleinsein bekaempft, aber das ist auch alles. Letztendlich sind sich beide Partner weiterhin fremd, ja man ist sich selbst fremd. Symptomatisch ist dabei, dass das Prinzip des Tauschgeschaefts auch in der Beziehung Gueltigkeit besitzt. Man versucht weiterhin fuer sich "den besten Deal" herauszuschlagen. Solche Beziehung haben mit Liebe nichts zu tun, sie stellen lediglich einen Egoismus zu Zweit dar.

"... Man widmet es [das taegliche Leben] dem streben nach materiellem Komfort und nach Erfolg auf dem Personalmarkt. Die Grundsaetze, auf die unsere weltliche Bemuehungen sich gruenden sind Gleichgueltigkeit und Egoismus (wobei letzterer oft als "Individualismus" oder als "individuelle Initiative" bezeichnet wird)."

Sonntag, 25. März 2007

Objekte der Liebe

"Um sein Nichtwissen wissen ist das Hoechste.
Um sein Wissen nicht wissen ist krankhaft." - Lao-tse

Im Definitions-Eintrag am Anfang dieses Blogs wurde ja bereits erwaehnt, dass es verschiedene Arten der Liebe gibt. Auch Fromm nimmt so eine Kategoresierung vor, wobei er sie "Objekte der Liebe" nennt.

Als Grundlage fuer alle anderen Arten beschreibt er die Naechstenliebe. Sie stellt das Verantwortungsgefuehl, die Fuersorge, Achtung und Erkenntnis (siehe letzten Blog-Eintrag) gegenueber allen anderen Wesen dar. Fromm betont dabei, dass sie niemals exklusiv ist. Diese Art beschreibt also eine Liebe zwischen Gleichen, denn wer sein naechsten liebt stellt sich nicht ueber ihn, sondern man befindet sich auf Augenhoehe.

Die muetterliche Liebe ist die bedingungslose einer Mutter zu ihrem Kind. Sie kann nicht erarbeitet werden (wie das bei der vaeterlichen Liebe der Fall ist). Man hat sie oder nicht. Eine Mutter sorgt sich immer um das Wohlergehen und die Entwicklung ihres Kindes und wird diese Art von Fuersorge auch nie "abstellen" koennen. Gerade nach der Geburt ist das Kind vollkommen auf die Mutter angewiesen und deswegen stellt Fromm die muetterliche Liebe auch als die Liebe zum Hilfslosen dar.

Die beiden beschriebenen Arten der Liebe beschraenken sich nicht auf eine einzige Person. Im Gegensatz dazu steht die erotische Liebe, die (in unserer Gesellschaft) exklusiv ist. Dabei geht es um die vollstaendige Vereinigung mit einer anderen Person. Fromm beton dabei, dass diese Art von Liebe haeufig mit dem Erlebnis des "sich verliebens" verwechselt wird. Dieses aufregende Ereignis kommt letztenlich daher, dass zwei Fremde sich ploetzlich naeher kommen und die inter-personellen Schranken fallen lassen. Natuerlich ist dieses Ereignis nicht von Dauer, spaetestens wenn man den anderen (und dessen Macken) kennt ist es nicht mehr so aufregend und berauschend wie es einmal war. (Dies basiert zum Teil auch auf neuro-biologischen Effekten. Wer mehr darueber erfahren moechten sollte die Definitions-Eintraege lesen.)
Fromm betont sehr deutlich, dass man die erotische Liebe nur erfahren kann wenn man auch die Naechstenliebe entwickelt hat. Schliesslich umfasst sie die Liebe zu allen Menschen einschliesslich des Partners. Wenn jemand also behauptet, dass er "seinen Schatz" ueber alles liebt, aber sonst fuer niemanden etwas entfindet, spricht er also eher von einem Egoismus zu zweit als von Liebe.

Die Selbstliebe ist lat Fromm eine weitere wichtige Art der Liebe. Sie soll jedoch nicht mit Selbstsucht oder Egoismus verwechselt werden. Bei der Selbstliebe geht es um den Respekt den man sich selber entgegenbringt. Nur wer sich selbst liebt kann andere lieben. Fromm ist der Meinung, dass der Egoismus das genaue Gegenteil zur Selbstliebe ist, denn dabei handelt sich eigentlich um die Unfaehigkeit Liebe zu empfinden, was dementsprechend kompensiert wird.

Schliesslich geht Fromm noch auf die Liebe zu Gott ein. Hierbei geht es ihm vor allem um den Unterschied zwischen der westlichen Religion (z.B. das Christentum) und der oestlichen Auffassung. Laut Fromm geht es beim ersteren vor allem darum richtig zu glauben (und denken) waehrend es in den oestlichen Religionen, wie z.B. im Taoismus oder im Buddhismus das richtige handeln im Vordergrund steht.

Mittwoch, 21. März 2007

Reife Liebe

"Die Liebe ist das Kind der Freiheit, niemals das der Beherrschung." - Franzoesisches Lied

Fromm beschaeftigt sich in "Die Kunst des Liebens" viel mit dem Unterschied zwischen der reifen und unreifen (oder infantilen) Liebe. Er assoziiert mit der reifen Liebe eine Reihe von Eigenschaften, um sie von der unreifen Liebe zu unterscheiden.

Die Fuersorge fuer das was man liebt stellt - laut Fromm - einen wichtigen Bestandteil dar. Damit meint er die taetige Sorge um das Leben und das Wachstum dessen was man liebt. Es ist wichtig anzumerken, dass es bei dem Wachstum um eine Weiterentwicklung im Sinne des anderen geht und nicht darum, dass man den anderen "passender" fuer sich macht. Das setzt natuerlich ein sehr tiefes Verstaendnis vorraus. Man muss das was man liebt also zunaechst einmal verstehen und kennen lernen.

Ausserdem sieht Fromm das Verantwortungsgefuehl als eine Grundvoraussetzung fuer die reife Liebe an. Damit meint er, dass man sich (vollkommen freiwillig - es stellt also keine Pflicht dar) dem anderen gegenueber verantwortlich fuehlt. Das Gegenteil ist der Egoismus.

Weiterhin ist Achtung vor dem anderen sehr wichtig. Dies hat jedoch nichts mit Ehrfurcht zu tun. Es geht vielmehr um gegenseitigen Respekt. Man darf sich dem anderen also nicht ueberlegen fuehlen, vielmehr sollte man sich auf der selben Ebene sehen. In einer Partnerschaft befinden sich schliesslich immer zwei gleichwertige Individuen.

Fuer Fromm gilt auch die Erkenntnis als ein wichtiger Bestandteil der reifen Liebe. Damit meint er, dass man stets bemueht sein sollte seinen Partner und auch sich selbst zu erkennen. Wie ich schon mehrfach erwaehnt habe sind Menschen schliesslich keine statische Einheit. Jeder entwickelt staendig weiter, denn Leben ist - meiner Meinung nach - nur ein anderes Wort fuer Veraenderung. Daraus folgt jedoch, wenn man dem anderen Fuersorge, Verantwortungsgefuehl und Achtung entgegenbringen moechte, dass man seinen Partner staendig neu kennenlernen muss. Dies ist jedoch keine Buerde, im Gegenteil man sollte es Chance ansehen.

Den Unterschied zwischen der reifen und unreifen Liebe stellt Fromm auch noch einmal sehr deutlich in den folgenden (sehr bekannten) Saetzen dar:
"Infantile Liebe folge dem Prinzip: 'Ich liebe, weil ich geliebt werde.'
Reife Liebe folgt dem Prinzip: 'Ich werde geliebt, weil ich liebe.'
Unreife Liebe sagt: 'Ich liebe dich, weil ich dich brauche.'
Reife Liebe sagt: 'Ich brauche dich, weil ich dich liebe.'"

Ich kann jedem empfehlen sich einmal fuer zehn Minuten ruhig hinzusetzen und ueber die obigen Saetze nachzudenken. Sie sind- meiner Meinung nach - sehr Bedeutungsvoll und haben weitreichende Auswirkungen auf die eigene Einstellung zur Liebe. Sie beschreiben den inneren Kampf, der in vielen Menschen vorgeht, wobei sich nur wenige darueber ueberhaupt bewusst sind. Ich persoenlich denke, dass solange man seine unreife noch nicht zu einer reifen Liebe entwickelt hat, nur wenig Erfolg in einer Partnerschaft haben kann.

Sonntag, 18. März 2007

Erwartungen und Ziele

"...ich seh' unsere Kinder wachsen, hör' sie Fragen stell'n: könn' wir wirklich nicht mehr machen als die Tage zu zähln?" - Joy Denalane

Dieser Eintrag bezieht sich auch nicht direkt auf "Die Kunst des Liebens" von Erich Fromm. Vielmehr moechte ich eine Gedankenkette praesentieren, die mir bewusst geworden ist, als ich ueber das Problem der Ungewissheit nachdachte. Nach Fromm ist die Ungewissheit der Zukunft einer der Hauptgruende fuer Aengste und das Gefuehl der Isolation. Meiner Meinung nach ist dies vor allem deswegen so, weil es dabei um Erwartungen (und die eventuelle nicht-Erfuellung eben dieser) geht.

Auch Thomas Artmann hatte in seinem Essay das Erwartungs-Problem erwaehnt. Bei ihm ging es darum, dass man im Fall der Liebe etwas nicht tun sollte, nur weil man eine Gegenleistung dafuer erwartet. Vielmehr stellt eine Aktivitaet aus Liebe eine freiwillige und Erwartungslose Taetigkeit dar. Ich fragte mich also ob Fromm's Ungewissheit und das Erwartungs-Problem eventuell zusammenhaengen.

Wenn man Formm's Argumentation folgt, dann ist lediglich die Gegenwart wichtig, denn die Vergangenheit liegt hinter einem und laesst sich - wie allgemein bekannt ist - nicht mehr aendern. Ueber die Zukunft auf der anderen Seite ist ungewiss, nur der eigene Tod steht fest. Nur mit Entscheidungen im Jetzt laesst sich die Zukunft (zu einem gewissen Grad) beeinflussen. Natuerlich bestimmt eine Entscheidung nicht vollstaendig was passieren wird, denn schliesslich ist nichts vollkommen vorherbestimmt (es ist ja schliesslich noch nicht passiert) und statisch.
Nun steht man jedoch vor dem Dilemma, dass mit jeder Entscheidung auch eine Erwartung ueber das Resultat dieser Aktion verbunden wird. Meiner Meinung nach ist dies das groesste Problem der modernen westlichen Gesellschaft und der Grund dafuer, warum so viele Menschen ungluecklich sind. Die Erwartungslosigkeit sollte nicht nur in der Liebe angestrebt werden, sondern auch in allen anderen Bereichen des Lebens. Jeder kennt sicherlich das Gefuehl, wenn sich eine erwartete Reaktion einfach nicht einstellt. Man fuehlt sich traurig ueber die "Niederlage", Zweifel fuellen die Gedanken und eine Depression kann sich entwickeln. Geht man ohne eine Erwartung an eine Sache heran, dann kann dies nicht passieren, denn man wartet nicht auf etwas bestimmtes.
Natuerlich sollte man auch nicht einfach so in den Tag hereinleben, denn dann wuerde keine Taetigkeit Sinn machen. Ist dies ein Paradoxon? Meiner Meinung nach nicht, denn ich denke es gibt einen grossen Unterschied zwischen Zielen und Erwartungen! Ziele sind zeitlos waehrend Erwartungen zeitgebunden sind. Man koennte Ziele also als langzeitige und Erwartungen als kurzfristige Hoffnungen ansehen. Doch warum ist das eine jetzt besser (wenn so eine Kategorisierung ueberhaupt moeglich ist) als das andere? Meiner Meinung nach sind Ziele wegen ihrer Zeitlosigkeit besser, denn man hat sie zwar "im Hinterkopf", aber sie belasten nicht staendig die Gedanken im Hier und Jetzt. Die Erwartungen sind da anders, dadurch das man sie haeufig mit einem konkreten Datum in Verbindung bringt, muss viel Zeit dafuer investiert werden, dass dieser Meilenstein auch eingehalten wird.
Die Ironie dieser Situation ist, dass man haeufig blind fuer alternative Moeglichkeiten wird. Der Geist ist so sehr damit beschaeftigt die erwartete Reaktion zu erzeugen, dass einem andere Wege gar nicht mehr auffallen. Ich denke viele kennen diese Situation in der einen oder anderen Form.

Interessant ist nun natuerlich die Betrachtung aller moeglicher Ziel/Erwartungs Kombinationen:
* Erwartungen, Ziele = gestresster, ungluecklicher Mensch in der modernen westlichen Gesellschaft
* keine Erwartungen, Ziele = gluecklicher Mensch in der westlichen Gesellschaft
* Erwartungen, keine Ziele = jemand der einfach in den Tag lebt (Hedonist)
* keine Erwartungen, keine Ziele = buddhistischer Moench

Ziele zu bewahren und gleichzeitig jegliche Erwartungen hinter sich zu lassen ist - so denke ich - zwar sehr schwierig, aber letztendlich der einzige Weg wirklich gluecklich zu werden. Die beste Zeit hat man schliesslich immer dann, wenn etwas positives vollkommen ueberraschend und unerwartet eintritt. Dies ist sicherlich kein Geheimnis, aber nur selten denkt man darueber nach, warum das so ist. Probiert es doch mal, tut einfach was nettes und ungewoehnliches fuer euren Partner oder einen andern lieben Menschen und beobachtet was passiert...